Frauen erstmals auf der parlamentarischen Bühne
Aus heutiger Sicht ist 1918 noch mit einer weiteren Zäsur verbunden: Die Regierung führt das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht ein. Erstmals betreten nun auch Frauen die parlamentarische Bühne und können von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Politisch aktiv waren einige von ihnen aber schon lange vorher. Rosa Luxemburg (1871-1919) zum Beispiel hatte bereits vor dem Krieg mehrere Wahlkämpfe für die SPD bestritten, wenngleich für männliche Kandidaten. Während des Krieges rief sie die Arbeiter*innen dazu auf, dem Krieg die Unterstützung zu entziehen. Ohne den Schutz eines politischen Mandats brachte ihr dies eine Gefängnisstrafe wegen Majestätsbeleidigung ein.
Seit 1918 können Frauen wählen und sich wählen lassen. Lange Zeit galt in der Geschichtswissenschaft als gesichert, dass sich Frauen das Wahlrecht durch ihren heroischen Einsatz während des Krieges verdient hatten. Inzwischen ist belegt, dass der Krieg die Einführung des Frauenwahlrechts nicht beschleunigte, sondern verzögerte. Die Schriftstellerin Hedwig Dohm hatte schon 1873 in einem Essay gefordert, dass Frauen über jene Gesetze mitentscheiden müssten, die sie selbst betrafen. Das Frauenwahlrecht dient natürlich auch den Regierenden, denn es stellt ihre Macht auf eine breitere Basis.
Auch auf das Frauenwahlrecht reagierten die Bürger*innen höchst unterschiedlich. Auf der Seite der Befürworter*innen standen viele Politikerinnen und weibliche Intellektuelle, die dieses Recht erkämpft hatten. Eine der ersten Abgeordneten der deutschen Geschichte, die Berlinerin Marie Juchacz, sagte 1919 in einer Rede im Reichstag über die Einführung des Frauenwahlrechts:
„Ich möchte hier festhalten (…), dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist“ (Liebig & Übel 2020, 21).
Doch selbst die Berliner Psychologin und vehemente Verfechterin des Frauenwahlrechts, Hildegard Sachs, gibt in einem Kommentar mit dem ironischen Titel „Gretchen mit dem Stimmzettel“ 1924 zu bedenken:
„Die Frauen bedürfen aus Gründen, die sich aus der Tradition ergeben, in noch höherem Grade als die Männer der Erweckung des politischen Interesses und damit der Stärkung ihrer politischen Urteilskraft und des Bewußtseins ihrer politischen Verantwortung.“ (Vossische Zeitung vom 19.06.1924)
Es bedurfte noch Jahrzehnte, bis das aktive und das passive Wahlrecht von Frauen sowohl von Männern als auch von den Frauen selbst als selbstverständlich wahrgenommen wurden. In der Weimarer Republik wurde hierfür die Grundlage geschaffen.
Das Jahr 1918 bedeute einen tiefen Einschnitt in das Leben der Zeitgenossen: Der Krieg war verloren, der Kaiser dankte ab. An die Stelle der Monarchie trat die junge Republik von Weimar mit einem vom Volk direkt gewählten Präsidenten. Das Militär verlor seine exponierte Stellung. Politiker*innen bestimmten nun die Geschicke des Landes und beaufsichtigten auch die Truppen. Die Parteien traten in einen Wettbewerb um die besten Ideen für das geschwächte Land ein. Der Parlamentarismus hielt Einzug – und hatte es von Anfang an schwer. Denn die Kräfte, die dem neuen System kritisch gegenüberstanden, waren zahlreich und einflussreich. Von Anfang an standen die demokratischen Strukturen mit der Gewaltbereitschaft rechtsnationaler Kräfte in Konkurrenz.