Lebkuchen – von Festlichkeit, Zeidlerei und Handelsrouten

14.12.2021 Theresa Rodewald (Online-Redaktion)

Vorweihnachtszeit ist Lebkuchenzeit. Neben Räuchermännchen, erzgebirgischen Pyramiden, Adventskranz und Glühwein bilden sie einen festen Bestandteil vorweihnachtlicher Gemütlichkeit in Deutschland. In unserem weihnachtlichen DDBspotlight gehen wir daher diesem Traditionsgebäck nach, entdecken mittelalterliche Berufe neu (Stichwort: „Zeidlerei“), nehmen den Gewürzhandel unter die Lupe und finden heraus, weshalb manche Lebkuchen mit Rübensirup gebacken werden. Historische Rezepte aus der Deutschen Digitalen Bibliothek haben wir für Sie am Ende des Beitrags zusammengestellt.

Mit Honig und Gewürzen verfeinertes Brot steht schon bei den Alten Ägyptern, den Griechen und Römern sowie bei einigen germanischen Stämmen auf dem Speiseplan. Ein Alltagsgebäck ist es aber auf keinen Fall, oftmals scheint ihm eine religiöse Bedeutung als Opfer- oder Grabbeigabe beizukommen, teilweise formt man es zu Pflanzen, Tieren oder Menschen. Schon bei den Römern taucht Honigkuchen aber auch in weltlichen Zusammenhängen auf, zum Beispiel als Geburtstagsgeschenk oder als Luxusartikel. Auch im Mittelalter verzehrt oder verschenkt man Lebkuchen zu verschiedenen Anlässen.

Es ist anzunehmen, dass Honig- bzw. Lebkuchen und die mit ihnen verbundenen Riten und Gebräuche eine kontinuierliche Entwicklung vom Alten Ägypten bis ins Mittelalter und in die Neuzeit vollziehen. Die Lebkuchen werden also keineswegs von Mönchen im Mittelalter erfunden, sondern werden seither verzehrt, dabei dem Geschmack der Zeit angepasst und weiterentwickelt. Für diese Kontinuität spricht auch, dass die Bezeichnung Lebkuchen möglicherweise auf das lateinische „libum“ zurückzuführen ist. Ein Wort, das in seiner Grundbedeutung unserem „Fladen“ entspricht, das aber bezeichnenderweise im alten Rom auch für den (Geburtstags-)Kuchen verwendet wird.

1296 taucht in Ulm erstmals die Bezeichnung „panis piperatus“, also „Pfefferbrot“, auf. Genau wie bei den uns bekannten Pfefferkuchen bezeichnet „Pfeffer“ hier Gewürze im Allgemeinen – von Anis bis Zimt. Städte wie Nürnberg, Pulsnitz, Ulm und Aachen werden im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit zu regelrechten Hochburgen der Lebkuchenproduktion, denn dank ihrer geografisch günstigen Lage an wichtigen Handelsrouten erhalten sie Zugang zu den begehrten Lebkuchenzutaten. Rohrzucker ist in Europa zwar seit den Kreuzzügen bekannt, jedoch außerordentlich teuer: 50 kg Rohrzucker kosten umgerechnet wohl zwischen 500 und 700 Euro. Stattdessen süßt man daher in der Regel – wie auch schon bei Ägyptern und Römern – mit Honig.

Honig wird im Mittelalter vor allem auch von wilden und halbwilden Bienenvölkern gewonnen. Die sogenannten „Zeidler“, die diese Form der Imkerei betreiben, höhlen alte Bäume aus damit dort Bienenvölker einziehen. Hierfür eignen sich Nadelholzgebiete, wie der Nürnberger Reichswald, besonders gut. Somit besitzt Nürnberg also einen doppelten Vorteil – sowohl hinsichtlich Logistik wie auch vorhandener Rohstoffe – bei der Lebkuchenproduktion.

Die namensgebende Zutat der Pfefferkuchen, die Gewürze, sind ebenfalls ein Luxusartikel und werden nicht umsonst mit Gold aufgewogen.

 

Exkurs: Gewürzhandel


Gewürze wie Anis, Ingwer, Nelken, Pfeffer und Zimt wachsen vornehmlich in Südostasien und werden nach Europa importiert. Ein reger Gewürzhandel im südostasiatischen Raum und Indonesien ist dabei sogar schon für das Neolithikum belegt. Dieser Weg, der über Nordafrika nach Europa führt, ist lang, wird aber schon in der Antike bestritten. Der Landweg wird um 500 v.Chr. von süd- und westarabischen Stämmen kontrolliert, indische Herrscher*innen kontrollieren teilweise den Seeweg.

Gewürze, die über das Rote Meer nach Europa kommen, gelangen zunächst nach Italien. Denn die Seerepublik Venedig besitzt zunächst ein Monopol auf den europäischen Handel und erlangt dank dem Gewürzhandel unermesslichen Reichtum. Um die Macht Venedigs zu brechen, steigen auch andere Stadtstaaten und Seerepubliken wie Genua und Pisa in den Gewürzhandel ein, vor allem aber avanciert die Seidenstraße, die durch das Byzantinische Reich führt, zu einer wichtigen Handelsroute.

Nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 durch den osmanischen Sultan Mehmet II. ändert sich die Lage für den Gewürzimport nach Europa. Das Osmanische Reich erhöht die Steuern auf Gewürze und kontrolliert bald große Teile der Handelsrouten. Europäische Herrscher suchen deshalb nach alternativen Handelsrouten. Vor allem die portugiesische und die spanische Krone setzen dabei auf „Entdeckungsreisen“: Christoph Kolumbus landet 1492 in Amerika, 1488 gelingt es einer portugiesischen Expedition unter Bartolomeu Dias, das Kap der Guten Hoffnung zu umsegeln, und 1497 etabliert Vasco da Gama einen Handelsweg nach Indien.

Nun existiert zwar eine neue Handelsroute nach Indien, die Bereitschaft der ansässigen Gewürzhändler und Herrscher, Handel zu treiben, ist allerdings gering. Diese sehen keinen Grund, altbewährte Beziehungen aufzugeben, denn das etablierte Handelsnetz ist effizient und der Handel verläuft friedlich. Zudem können die Portugiesen selbst keine Güter vorweisen, die für die Kaufleute von Interesse wären. Daher wählen die Portugiesen die gewaltsame Konfrontation, denn im Gegensatz zu den hauptsächlich aus Handelsschiffen bestehenden Flotten der ansässigen Herrscher und Kaufleute, verfügen die Europäer über eine moderne und schlagkräftige Kriegsflotte.

Die Portugiesen bringen im 16. Jahrhundert indische Handelsstützpunkte und -routen unter ihre Gewalt und verfügen fortan über ein Monopol auf den Gewürzhandel nach Europa. Sie legen die Preise für Gewürze fest, bezahlen die Bauern unter Wert, zwingen ihnen wertlose Handelsgüter auf – verkaufen die Gewürze in Europa aber selbst freilich zu deutlich höheren Preisen. Neben der Androhung von Waffengewalt fungiert dabei auch die portugiesische Administration als Kontrollinstrument. Handel betrieben werden darf nur noch mit offizieller Genehmigung im Dienste der portugiesischen Krone. So werden beispielsweise viele arabische Kaufleute aus dem Gewürzhandel verdrängt, wobei Handel auch weiterhin über den Landweg und durch das Osmanische Reich stattfindet.

Natürlich wollen aber auch andere europäische Mächte ein Stück vom Gewürzkuchen abhaben. Ende des 16. Jahrhunderts attackieren die Niederlande portugiesische Handelsstützpunkte und bringen die Molukken, auch Gewürzinseln genannt, unter ihre Kontrolle. Im Nahen Osten wächst indes der Einfluss der britischen Krone. Ab dem 17. Jahrhundert richten die europäischen Großmächte ihre Außenpolitik neu aus: In den folgenden Jahrzehnten trachten sie nicht länger nur darum, Handelsstützpunkte zu errichten, sondern vielmehr Länder und Menschen nun in Gänze zu unterwerfen. Die Britische und die Niederländische Ostindien Kompanie treiben diese Kolonialisierung im 17. und 18. Jahrhundert dabei maßgeblich voran. Der Gewürzhandel ist also ein zentraler Ausgangspunkt für den Imperialismus des 19. Jahrhunderts.

 

Heilmittel und Festtagsgebäck


Wie erwähnt stellt der Konsum von Gewürzen lange Zeit ein teures Vergnügen dar – ihr Besitz gilt als Statussymbol, weshalb sie in wohlhabenden Haushalten in reich verzierten Schalen präsentiert werden. Um schlechte Gerüche zu übertünchen, werden Gewürze verbrannt und finden auch als Arzneimittel Verwendung. Zimt, Nelken und Ingwer gelten etwa schon im Mittelalter als verdauungsfördernd, krampfstillend oder entzündungshemmend. Lebkuchen wird deshalb auch heute noch in manchen Regionen als Magenbrot bezeichnet. Die Gewürze sollen aber auch Schnupfen und fiebrige Erkältungen lindern.

Schon im 13. Jahrhundert organisieren sich erste Lebkuchenbäcker, genannt Lebküchner oder Lebzelter (vom althochdeutschen „zelto“: „Fladen“, „Brot“ oder „flacher Kuchen“), in eigenen Zünften und grenzen sich so von den Zuckerbäckern und Apothekern, die Magenbrot herstellen, ab. 1293 wird die erste Lebküchner Zunft in Schlesien gegründet, während die Lebküchner in Nürnberg erst 1643 als Zunft anerkannt werden. Lebküchner backen nicht nur Lebkuchen, sondern verarbeitet oft auch Bienenwachs oder stellen Met her. Da sich sowohl der Teig als auch die fertigen Lebkuchen gut lagern lassen, sind Lebkuchen eine beliebte Handels- und Marktware.

Spätestens seit dem 15. Jahrhundert werden Lebkuchen in Form gepresst oder geschnitten. Zunächst sind religiöse Motive beliebt, aber auch Lebkuchenmänner und -frauen gibt es schon lange. Während heute vor allem Ausstecher zum Einsatz kommen, verwendet man lange Zeit geschnitzte Holzformen, mit deren Hilfe Motive in den Teig gepresst werden.

Ab dem 19. Jahrhundert können aus den Kolonien importierte Gewürze in Europa zu erschwinglichen Preisen erworben werden. Außerdem gelingt nun die Herstellung von Zucker aus Rüben, weshalb auch Zucker bald kein Luxusgut mehr ist. Aus dieser Zeit stammen auch Lebkuchenrezepte, die Zuckerrübensirup statt Honig verwenden. Parallel zu diesen Entwicklungen erfährt das Weihnachtsfest eine Verbürgerlichung, wird also zunehmend im Privaten begangen. Lebkuchen werden jetzt fester Bestandteil der Vorweihnachtszeit. Mit der Industrialisierung gelingt bald auch die maschinelle und massenweise Produktion, sodass der Lebkuchen zu Weihnachten fortan nicht nur süße Teller, sondern auch Weihnachtsbäume ziert.

Die Geschichte des Lebkuchens und seiner Zutaten ist also nicht durchgehend vom Geist der Weihnacht beseelt. Sie erzählt sowohl von Festlichkeit und Luxus, als auch von Machtansprüchen und Ungerechtigkeit. Damit macht sie deutlich, dass alteingesessene Traditionen und Bräuche die zunächst regionalspezifisch scheinen, oft auch globalgeschichtliche Querverbindungen aufweisen.

Historische Lebkuchenrezepte zum Nachbacken finden Sie hier, hier oder hier. Mehr Pfeffer- und Lebkuchen finden Sie bei uns in der Deutschen Digitalen Bibliothek. Einige davon haben wir im Rahmen des Weihnachtsmailings der Deutschen Digitalen Bibliothek nachgebacken, das Sie hier nachlesen können.

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