Er bereist und fotografiert die Welt. Er wird zum Hoffotografen ernannt, zum Bordfotografen der Reederei Hapag und gewinnt Auszeichnungen auf den Pariser und Chicagoer Weltausstellungen. Er veröffentlicht erfolgreiche Fotobände seiner Heimat Schleswig-Holstein. Seine Fotografien verhelfen Norwegen zu seinem Tourismus und er ist Teil der Künstlerkolonie Ekensund. Und: Er wird vergessen. 

Wilhelm Dreesen stirbt im Dezember 1926 in Flensburg im Alter von 86 Jahren. Sein Fotoatelier wird ausgeräumt, sein Wohnhaus verkauft. Fast 100 Jahre wird es dauern, bis ein Teil seines fotografischen Werks wiedergefunden wird. Und damit auch Wilhelm Dreesen selbst als Pionier und Künstler der frühen Fotografie.

2019 finden Mitarbeiter*innen des Museumsberg Flensburg beim Aufräumen des Magazins eine alte Holzkiste. Beschriftet mit dem Wort „Dreesen“ enthält die Kiste Glasplatten mit 300 Foto-Negativen aus dem 19. Jahrhundert. Das Museum fängt an nachzuforschen und findet heraus, dass diese Negative wahrscheinlich über 100 Jahre lang ihr Behältnis nicht verlassen haben. Viele wurden wahrscheinlich nie veröffentlicht. Gemeinsam mit dem norwegischen Reiselivsmuseum entsteht eine Ausstellung des Fundes, die auch virtuell besucht werden kann: „Discovering Dreesen“.

Wer ist Wilhelm Dreesen?

Wilhelm Anton Georg Dreesen wird am 31. März 1840 in Rendsburg (Schleswig-Holstein) geboren. In seiner Kindheit versterben beide Elternteile, so dass er im Militär-Waisenhaus in Eckernförde aufwächst. Dort erhält er eine Ausbildung zum Militärschwimmlehrer, spielt als Trompeter in der Regimentskapelle und meldet sich 1864 zum Militärdienst, um auf dänischer Seite im deutsch-dänischen Krieg gegen Preußen zu kämpfen. Dreesen beendet 1865 seine Militärkarriere und eröffnet mit 25 Jahren ein Fotoatelier in Flensburg.

Das Geschäft läuft so gut, dass er innerhalb kurzer Zeit weitere Filialen in der Region eröffnen kann. Zu diesem Zeitpunkt entwickelt sich seine Karriere rasant: Kleinere, handlichere Kameras erscheinen auf dem Markt und ermöglichen Dreesen von der Porträtfotografie zu Landschaftsaufnahmen zu wechseln und seine Kunstfotografien zu verbreiten. 1887 wird er zum Hoffotografen ernannt, im gleichen Jahr wird er Bordfotograf für die HAPAG (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft) und bereist auf ihren Schiffen die Welt.

Was Dreesen in dieser Zeit dokumentiert, ist eine Zeit des Umbruchs. Später – nach den Grauen des Ersten Weltkriegs – als „Belle Époque“ („Schöne Epoche“) bezeichnet, fällt in die Zeit zwischen circa 1884 und 1914 eine lange Zeit des Friedens in Europa. Wirtschaft und Kultur erleben einen deutlichen Aufschwung, angetrieben von der zweiten Welle der Industriellen Revolution. Fortschritte werden in den unterschiedlichsten Lebensbereichen erzielt: Die Lebenserwartung steigt, die Säuglingssterblichkeit geht zurück. Arbeiter*innen organisieren sich in Gewerkschaften und politischen Parteien, die Einkommen steigen schneller als die Preise.

Die wirklichen Profiteure der schönen Epoche finden sich allerdings nicht in der Arbeiterschaft, die nur in geringem Maße von den Fortschritten profitiert, sondern im Bürgertum, welches seine Zeit auf den Flaniermeilen der Städte, in Galerien und Museen oder auf ausgedehnten Reisen verbringt. Impulse für diese neuen Freizeitreisen liefert Wilhelm Dreesen.

Mit seinen Fotomappen „Aus Schleswig-Holstein“ macht Wilhelm Dreesen das „Land zwischen den Meeren“ überregional bekannt und prägt das damalige Bild des nördlichsten Teils Deutschlands. Seine idyllischen Aufnahmen von Land, Leuten, Schafen und Krabbenkuttern finden rege Abnahme und werden häufig abgedruckt. Auf einer gemeinsamen Reise im Jahr 1891 mit dem Maler Julius Runge, der von Dreesen gerne geeignete schleswig-holsteinische Motive gezeigt bekommen möchte, charakterisiert Dreesen, das, was er seinem Freund zeigt, folgendermaßen:

 

Da es namentlich auf malerische Figuren ankam, reisten sie nach dem Wattenmeer hinter Husum, wo die Krabbenfischer in höchst seltsamen, farbigen, zerrissenen Kleidern ihrer Arbeit nachgehen. Sowohl Männer als auch Frauen gehen während der Badezeit meilenweit übers Watt, beide Geschlechter weit übers Knie bloß und im Übrigen nur mit dürftigen Lappen behangen.
Wilhelm Dreesen

Neben Schleswig-Holstein verankert Dreesen mit seinen Fotografien Norwegen auf der neuen Landkarte touristischer Ziele dieser Zeit. 1891 erscheint sein Bildband „Norwegen – Das Land der Mitternachtssonne“, der auch auf Norwegisch erscheint. Die Bilder der Gletscher und Fjorde prägen das Bild Norwegens und veranlassen eine norwegische Zeitung zu der Aussage, dass der Tourismus des Landes wohl niemandem so viel zu verdanken habe wie Wilhelm Dreesen.

Doch ist Norwegen nicht sein einziges Ziel. Jahrelang bereist Dreesen die Welt und fotografiert das Mittelmeer, Ägypten, die USA und die Karibik, um daraus erfolgreiche Bildbände zu veröffentlichen. Sein erarbeiteter Wohlstand hält sich nicht bis an das Ende seines Lebens: Durch die Hyperinflation in den 1920er Jahren stirbt Dreesen verarmt in Flensburg. Sein Lebenswerk verschwindet in Holzkisten, viele seiner Fotografien werden während des Zweiten Weltkriegs durch Bombenangriffe in Hamburg zerstört. Vergessen ist er dennoch nicht.

Über 200 Werke von Wilhelm Dreesen stehen in der Deutschen Digitalen Bibliothek zur Verfügung.

 

Quellen

https://www.europeana.eu/de/blog/discovering-dreesen-a-pioneering-german-photographer

https://www.museumsberg-flensburg.de/de/ausstellungen/details/discovering-dreesen-fotograf-globetrotter-influencer-2.html

http://www.discoveringdreesen.com/

https://www.museumsberg-flensburg.de/files/content/ausstellungen/KunstartDreesen.pdf

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/schleswig-holstein_magazin/zeitreise/Zeitreise-Influencer-mit-Plattenkamera-Fotograf-Wilhelm-Dreesen,zeitreise3522.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Belle_%C3%89poque#:~:text=Belle%20%C3%89poque%20%5Bb%C9%9Ble%CB%88p%C9%94k%5D%20(frz,Jahrhundert%2C%20haupts%C3%A4chlich%20in%20Europa

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Dreesen

https://www.nordschleswiger.dk/de/deutschland/wilhelm-dreesen-fotograf-flensburg-und-sandacker-ausstellungsbesuch

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